In der Achtzig-Galerie
Buch: Bollo auf U 4706 – Logbuch des Leutnant-Ingenieur
Heinrich Trull 1941 – 1945
Gute fünf Jahre hat es gedauert vom Auffinden der Tagebuch-Aufzeichnungen meines Vater bis zu ihrer Veröffentlichung. Nun, endlich, liegt ein fertiges Buch auf dem Tisch, und das, was mein Vater vor mehr als 60 Jahren erlebt und festgehalten hat, wird auch für mich auf ganz neue Weise greifbar, anschaulich, präsent.
Ein junger Marinesoldat und Offiziersanwärter berichtet von seiner langjährigen Ausbildung zum U-Boot-Leutnant Ingenieur während des Zweiten Weltkrieges. Über 150 Fotos illustrieren die wohl formulierten und akkurat geschriebenen Sätze, wir erfahren Details aus den zahlreichen Lehrgängen aber auch Familiäres und Persönliches, Ziele, Wünsche, Pläne, Hoffnungen.
Und dieser junge Mann – ist mein Vater? Ein Soldat durch und durch, beseelt von diesem einen Wunsch, U-Boot-Ingenieur zu werden, und bis zuletzt darauf hoffend, endlich auf Feindfahrt gehen zu dürfen. Von den 39.000 Marinesoldaten, die im Laufe des Krieges bei der U-Boot-Waffe dienten, verloren 33.000 das Leben. Hast Du das gewusst? Gab es etwas, was Dir wichtiger war als Dein Leben? Wo sind Deine Zweifel, ob das alles richtig ist, was Du tust und was mit Dir getan wird, wo Deine Ängste? Wo Deine Freude, überlebt zu haben? Kein Wort davon in den Tagebüchern.
Wie viele Soldaten, die den Krieg überlebt haben, hat mein Vater später nur sehr wenig von seinen Erlebnissen berichtet. Seine Aufzeichnungen hat er strikt unter Verschluss gehalten. Natürlich war es zu DDR-Zeiten auch nicht gefährlich, mit einer Vergangenheit als U-Boot-Offizier der Kriegsmarine hausieren zu gehen. Aber auch in der Familie war das Thema eher keins.
Lange habe ich überlegt, ob man diese Tagebücher veröffentlichen sollte und kann. Sind sie vielleicht nur für die Familie interessant? Mir versichern Dritte, denen ich die Aufzeichnungen vorab vorgelegt habe, dass es nicht so ist. Die Familie ist eher Beiwerk, steht nicht im Vordergrund seiner Schilderungen.
Und was ist mit der kriegsbejahenden Erzählperspektive meines Vaters, mit seiner bis zuletzt ungebrochenen Verklärung des Militär- und Marinewesens?. Auch wenn mich das heute befremdet und mir nicht gefällt: Da ist er wohl Kind seiner Zeit und genau da liegt vielleicht der besondere Wert der Aufzeichnungen als historisches Zeugnis. Unser Bild von Hitler-Deutschland und Zweitem Weltkrieg wird mit diesem Buch um ein Puzzlesteinchen, um einen authentischen zeitgenössischen Bericht „von unten“ erweitert. Immerhin, zum Heldenepos taugen die Aufzeichnungen nicht: Hinterrücks und ungewollt erzählt mein Vater die wahrhaft irre Geschichte eines Scheiterns. Enorm ist die Fallhöhe zwischen heroischem Ziel und schnöder Demontage. Aus diesem Stoff sind Romane …
Und schließlich sind da Skrupel, ob Fotos und Namen der Kameraden und Vorgesetzten im Klartext wiedergegeben werden dürfen.
Die Betroffenen um Erlaubnis zu fragen ist mittlerweile leider unmöglich: Nach Recherchen, die ich mit Hilfe der Falkland-Crew X/41 in Hamburg, einem Freundeskreis, der sich aus den überlebenden U-Boot-Fahrer der Marine des Jahrganges Oktober 1941 als Crew = Mannschaft gebildet hat, durchführte, lebt wahrscheinlich keine der genannten und abgebildeten Personen mehr. Unabhängig davon aber ist die Sorge, dass jemand oder jemandes Andenken durch Wort oder Bild herabgewürdigt werden könnte, vermutlich eher unbegründet. Zu durchdrungen sind die Aufzeichnungen vom Prinzip der Kameradschaft, von bedingungsloser Loyalität. Ich glaube nicht, dass ein Betroffener von irgendeiner Textstelle im Buch unangenehm berührt werden könnte.
Falls doch, bitte ich aufrichtig um Entschuldigung, das ist nicht beabsichtigt. Im Gegenteil: Mit der Veröffentlichung möchte ich Hinterbliebenen und Angehörigen der Kameraden die Chance auf einen ähnlichen Überraschungsfund bieten, wie ich ihn machen durfte, wenn sie ihren Vater, Großvater, Onkel unerwartet in einem 60 Jahre alten, bebilderten Logbuch wieder finden. Zur Erleichterung des Wiederfindens im Buch habe ich im Anhang eine Namensliste der genannten Kameraden und Vorgesetzten, der Klassenkameraden und der Kolonne 5 erstellt. Ich möchte Sie auffordern, Kontakt mit mir oder dem Verlag aufzunehmen, wenn Sie eine biografische Verbindung sehen. So können wir weitere Zeugnisse aus dieser Zeit austauschen. Die Originale werde ich einem Marinemuseum übergeben.
Bevor ich Ihnen nun die Aufzeichnungen meines Vaters anvertraue, erlaube ich mir, noch Biografisches, Familiäres und Herausgeberisches vorwegzuschicken, für Leser, die mehr über die Person meines Vaters, die Umstände des Auffindens der Aufzeichnungen und wie sie im Buch wiedergegeben werden, wissen wollen.
Mein besonderer Dank gebührt Heinz Trautvetter, der beinahe spontan bereit war, das Buch ins Verlagsprogramm der Edition Lithaus aufzunehmen, nachdem er das Material gesichtet hat. 16 Verlage vorher hatten Bedenken: Dem einen passte es nicht ins Programm, der andere hatte schon zu viele Biografien aus dieser Zeit verlegt. Einigen war es nicht spannend genug anderen zu einseitig.
Ich bin sicher, Vaters Logbuch ist in der Edition Lithaus gut aufgehoben, und hoffe, es findet seine Leser. Der Gewinn liegt schon jetzt auf der Hand: Dieses außergewöhnliche historische Dokument ist nunmehr der Öffentlichkeit zugänglich.
Aus dem Vorwort
Inge Ursula Trull
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